Ich nehme Abschied

Nichts ist schlimmer, als wenn man sich ein Leben lang unverstanden fühlt.

 

Ich konnte mich anstrengen wie ich wollte, kritisiert hat man immer, doch verstanden niemals.

Jetzt, wo ich jenseits der 50 bin, sehe ich mein Leben mit ganz anderen Augen und finde nicht, dass ich es in irgend einer Form weiter fortführen sollte. Deshalb denke ich auch nicht, dass mein Ableben für den Rest der Welt einen Verlust darstellt. Nur meine Familie wird der Verlust schmerzen, das weiss ich.

Das vergeht - glaubt mir.

 

Großes und Beeindruckendes hinterlasse ich nicht. Meine ewig währende Mittelmäßigkeit kann ich kaum noch ertragen. Ich wollte immer und auch bis zuletzt etwas anderes tun, als mir das "Leben" ständig vorschrieb. Man nannte es: "mit dem Kopf durch die Wand". Doch immer hatte ich Angst zu scheitern und vor dem erhobenen Zeigefinger, der mich sogleich wieder zu Boden drückte. Einige Dinge habe ich mich getraut zu tun, wurde dafür beleidigt, beschimpft und verstoßen. Und doch hatte ich danach nie wieder so ein Glücksgefühl. Denn ich ließ die Angst schließlich solange zu, bis sie nichts mehr von mir übrig ließ ausser einer leeren Hülle. Über lange Zeit lebte ich in Abhängigkeit von irgend jemandem und tat ich dies einmal nicht, brach um mich alles zusammen. Ich kaschierte und verbarg, belog, um meine Misere nicht auffliegen zu lassen.  Stets bin ich der " JA-und- Amen-Sager" geblieben, gab immerwieder nach und hatte nie das Gefühl, dass sich jemand wirklich selbstlos um mich kümmert oder mir eine Freude macht, ohne dass dies irgend einem Anlass geschuldet wäre.

 

Seit meinem Selbstmordversuch vor einigen Jahren durchlebte ich ständig Phasen von Depressionen, welche in letzter Zeit aber scheinbar nicht mehr von selbst verschwinden. Der ständige Kampf mit meinem Körper, stundenlanges, nervenaufreibendes Grübeln, Angstzustände und dann wieder diese quälende Ungewissheit: " versteht mich hier überhaupt jemand " ? Es fällt mir sehr schwer, meine Gedankengänge in Worte zu fassen und so kann ich mich auch niemandem wirklich mitteilen oder anvertrauen. Hunderte mal nahm ich mir vor, einen Arzt aufzusuchen, schaute nach anderen Möglichkeiten, mich zu befreien aber der Gedanke an die Art und Weise, wie ich mich vor einem Arzt oder irgendjemand anderem erklären müßte und letztlich wieder die Angst, man würde mir sowieso nicht glauben, ließ mich jedes mal diesen Gedanken wieder verwerfen.

 

Mich tröstet in diesem Moment die Gewissheit, zwei wunderbare Kinder zu haben.

Ich bin aber auch zu tiefst beschämt über das, was ich ihnen in ihrem damals noch jungen Leben zugemutet und angetan habe. Wie egoistisch ich doch war - nur meine Gefühle waren wichtig, nicht ihre. Erst heute begreife ich die Ausmaße dessen und hoffe, sie verzeihen mir das Unverzeihliche.

Ich wiege euch nun in Sicherheit. Ihr steht im Leben und kommt zurecht.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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© Silvia Menzel